CHARLOTTE GAINSBOURG @ Blue Balls Luzern

24. Juli 2019

Bevor wir zu Charlotte Gainsbourg am Blueballs-Festival in Luzern pilgern, muss ich einen Moment persönlich werden: Ich bin vernarrt in Charlotte. Meine Glückshormone sprudeln, wenn ich mir einen Charlotte-Film ansehe, und bin begeistert über ihren Mut, die Filme zu machen, die sie eben macht. «Melancholia», «Nymphomaniac», «Samba»… wunderbar. Charlotte ist knochendürr, aber mental stark. Ihr überpräsenter Unterkiefer verleiht dieser Stärke eine Sexyness, die zu ihrem überaus schlacksigen Äusseren passt. Und ja, sie macht auch Musik, was mutig ist, wenn man Serge Gainsbourg selig zum Vater hat, und natürlich sind ihre bisherigen vier Alben (die zwei Alben aus der Kinderphase nicht mitgerechnet) nicht das Gelbe von Ei, und eine wirklich gute Sängerin ist sie auch nicht, aber ihre Musik lebt wie ihre Filme von dieser Mischung aus Zerbrechlichkeit und Stärke. Und nicht zuletzt musste Charlotte auch damit klarkommen, Jane Birkin als Mutter zu haben. Auch das hat sie geschafft. Aus all diesen Gründen bin ich ein Charlotte-Fan. Der Besuch ihres Konzertes sollte also auch eine Art Anhimmelung werden.
Nun denn. Mit meiner grundsätzlichen Begeisterung bin ich klar in der Minderheit: Der Luzerner Saal des KKL ist zu weniger als einem Drittel gefüllt. Autsch. Auf der Bühne stehen ein paar niedrige Podeste mit leuchtenden Umrandungen, darauf viereckigen Rahmen, die, wie sich bald zeigt, allesamt aus einer Art Neonröhre bestehen.

Auftritt 5 Musiker und Charlotte, sie setzt sich an die Keyboards hinter dem grössten aller Rahmen und singt buchstäblich in höchsten Tönen. Die Jungs in weissen T-Shirts, Charlotte in Jeans, Jeansjacke und weissem Shirt, die Rahmen leuchten hell, die Musiker spielen eine Mélange aus 80er-Jahre-Pop-Reminiszenzen, zu denen Charlotte recht fisplig meist französisch singt, die Musik wuchtet dagegen im Überdruck. Sie klingt grad so, als würde Giorgio Moroder die Band coachen: Ein bisschen Donna Summer, ein bisschen Tears for Fears, ein bisschen frühe Depeche Mode, und der Backgroundsänger sieht passenderweise aus wie Björn von Abba, bloss in der kostengünstigeren Ausführung. Zu tun hat der Backgroundsänger nicht viel, hin und wieder führt er das Mikrophon zum Mund, aber hören tut man ihn eigentlich nie. Vielleicht, weil er noch höhere Töne von sich gibt als seinerzeit die Bee Gees. Überhaupt sind die Männer fast kaum zu hören, wenn sie zum Chörli anheben. Und bei Charlotte ist es lange Zeit auch nicht viel besser, den Titel ihres 2011er-Albums «Stage Whisper» nimmt sie sehr ernst. Die weissen Röhren leuchten oder stroboskopen bis zur optischen Erschöpfung, zusätzliches weisses Bühnenlicht flutet hin und wieder über die Szenerie.

Aber mehr passiert da nicht. Charlotte sitzt und singt. Oder sie steht und singt – und zwar komplett bewegungsfrei. Auch die Männer scheinen Bewegung tunlichst zu vermeiden, sehr entspannt stehen sie einfach nur da und machen ein bisschen Musik. Und die klingt sonderbarerweise so, als würde das Ensemble ganz gut auch zu dritt klarkommen. Einzig der Schlagzeuger scheint immer mehr zu spielen, als man hört. Und so bleibt der Auftritt überaus statisch, sogar das Showlicht bleibt durchgehend weiss.

Vielleicht sind Charlotte und ihre Männer nicht begeisterungsfähig angesichts so weniger Leute und nur einem glühenden Fan. Vielleicht spielen die aber immer so. Auf alle Fälle macht das Ensemble nach 60 Minuten Feierabend und kommt dann für nur zwei Songs nochmal auf die Bühne (erwähnenswert angesichts der Bewegungsarmut: Charlotte setzt sich auf das Keyboard), und nach 1 Stunde 10 Minuten ist’s dann definitiv vorbei. Echt jetzt? Wenig Leute – wenig Musik? Hat die Gage nur für 70 Minuten gereicht? Ist das immer so? Charlotte, was tust du da?

Wie immer kommt dann wieder der Festivalleiter Urs Leierer auf die Bühne gestorcht und sagt: «Das wars für heute.» Keine Proteste aus dem Publikum. «Wir sehen uns im Schweizerhof», sagt Urs, dort wird der Blues gespielt, und irgendwie hat man den nach dem Charlotte-Konzert. Aber hey: Ich bin trotzdem vernarrt in Charlotte.

Christian Hug

Photos by Dominik Meier & Flavio Leone

Christian
About Christian Hug 180 Articles
Seit den Sex Pistols «into music», seit 2001 freier Journalist und Buchautor. Jahrelange Mitarbeit im «Music Scene», «Toaster», TagesAnzeiger - Ernst», «Style» und andere. Kein MP3-Freund.

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