THE BEATLES The White Album

THE BEATLES
The White Album (3CD-Edition)
Universal Music

hef. Als „die grössten Popstars aller Zeiten“ gelten noch immer The Beatles. Das Quartett aus Liverpool hat die heutige Popmusik geschaffen und verändert wie keine andere Gruppe. Inspiriert vom Rock’n’Roll ihres Idols Elvis Presley, holten sich John Lennon, Paul McCartney, George Harrison und Ringo Starr in den Musikclubs des Hamburger Rotlichtviertels Reeperbahn den ultimativen Schliff für ihre sagenhafte Weltkarriere. Erfrischend, jung, frech und mit einem bis anhin nicht gehörten neuen Spirit schrieben sie ihre eigenen Songs. Sie sangen das, was ihre Fans gleichen Alters dachten und am eigenen Leibe erlebten. Songs über Liebe und allem, was dazu gehört. Die Vier haben, so DER SPIEGEL treffend, „die Lunte an den Urknall des Pop gelegt und quasi im Alleingang die daraus folgenden Musikstile erfunden – oder zumindest vordefiniert.“

Aus den anfangs niedlichen 3-Minuten-Songs entwickelten die Fab Four mit jedem neuen Album anspruchsvollere Titel mit allen Ingredienzen der Musikgeschichte. Ihr bahnbrechendes Album „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“ wurde zum Massstab neuer, moderner Popmusik. Das wurde möglich, weil sich die Beatles Ende Sommer 1966 von der Konzertbühne verabschiedeten und sich in den Londoner Abbey Road Studios viel Zeit nahmen,  Bahnbrechendes zu erreichen. 1967 war der Sommer der Liebe, mit der Hymne „All You Need Is Love“, die nur als Single erschien, schrieben sie den Soundtrack zu einer neuen Welt voller Liebe und Hoffnung und dem Slogan „Make Love Not War“. Bedingt durch politisches Umdenken und den Protest der intellektuellen Studenten-Jugend, übermässigen Drogenkonsum vieler Hippies und den Vietnam-Krieg wich die positive Euphorie bald der harten Realität. 

Am 22. November 1968 erschien nur wenige Wochen nach Ende der Aufnahmesessions das anfangs umstrittene Doppelalbum, das Cover in schlichtes Weiss gehalten und „White Album“ betitelt. Die 30 neuen Songs unterschiedlichster Stilrichtungen nach dem Konzept-artigen „Sgt. Pepper“-Meisterwerk mussten Kritiker und Fans erstmal verdauen. Das Album schaffte es trotzdem auf Anhieb an die Hitparadenspitze in aller Welt. 

50 Jahre nach Erscheinen hat Giles Martin, Sohn des unlängst verstorbenen legendären Beatles-Produzenten George Martin, das „White Album“ unter der Oberaufsicht von Paul McCartney neu gemischt. Die 30 Songs kenne ich wie gute Freunde. Was ich aber in dieser neuen Mix-Version an Feinheiten heraushöre, ist verblüffend. Vor allem die teils versetzten, Beatles-typischen Chöre erfahren durch diesen Mix eine teils völlig neue Dimension. Glasklar die vielen Facetten von Details, wie ich sie so noch nie gehört habe. Plus die harte Rockpower in Titeln wie “Birthday” und „Helter Skelter“, dem Urahn des Heavy Metal. Auch „Sexy Sadie“ ist ein schönes Beispiel hierfür. Selbst John Lennon’s Sarkasmus als Anklage gegen seinen einstigen Guru Maharishi Mahesh Yogi ist viel feiner und differenzierter herauszuhören als auf dem Original, auch die Chöre sind perfekt „herausgeschält“. Der indische Guru hatte mehr Weltliches im Sinne als Tiefenentspannung, war auf dem Indien-Meditationstrip der Beatles „MeToo“-mässig hinter Mia Farrow her, die ebenfalls mit von der Partie war wie die Beatles-Freunde Donovan und Mike Love (Beach Boys). George Harrisons Meisterwerk „While My Guitar Gently Weeps“ erfährt durch das nach vorne geholte lange Guitar-Solo von Eric Clapton ebenso eine glanzvolle Wiederbelebung wie „Savoy Truffle“ mit den fetten Bläsern. Wenn bei „Piggies“ die Schweine naturgetreu grunzen, kann man erschrecken, so nah am Ohr fühlt man diesen tierischen Effekt. Der federnde Bass des Knallers „Birthday“ sowie im Titel „Glass Onion“ lässt die Boxen erzittern, und sogar dem unsäglichen, achteinhalb Minuten langen Lennon-Kakophonie-Epos „Revolution 9“ kann man in dieser remixten Version Sympathien abgewinnen. 

Für Beatles-Afficionados freilich ist die CD 3 „Esher Demos“ ein Hühnerhaut-Erlebnis und wohl auch der Hauptgrund für den Erwerb dieses in mehreren Versionen erhältlichen Meisterwerks der Fab Four. Man kann gegen den Maharishi sagen, was man will, aber eines hat der umstrittene Guru bewirkt. Weil sich Sitar-Pionier George Harrison für die Indien-Reise ausbedungen hat, dass man dort nicht zusammen musiziere, sondern jeder mit neuen Songs nach Hause kommen solle, trafen sich die Beatles Ende Mai 1968 auf George’ Anwesen in Esher nordöstlich von London, um das neue Material zu besprechen und für das nächste Album-Projekt auszusieben. Die 27 neuen Beatles-Songs auf den „Esher Demos“, die an zwei Tagen akustisch eingespielt wurden, hat Giles Martin unglaublich transparent gemischt. Man fühlt sich mitten unter den Beatles, die einander mit Spässchen und spontan improvisierten Nonsens-Zeilen zu Höchstleistungen treiben. Lennon’s „Happiness Is A Warm Gun“ (was für ein Titel…) etwa ist erst als Gerüst vorhanden. Nach den Sessions schickte Harrison den Kollegen das Band, das leider auch bald den Weg in den Bootleg-Markt fand, weshalb einige der nie von den Beatles eingespielten Titel trotzdem bekannt wurden und 25 Jahre später teils auch auf dem „Anthology 3“-Album veröffentlicht wurden. Diese 27 natürlich restaurierten und klanglich optimal aufbereiteten Klangrosinen sind nicht nur für Beatles-Fans, sondern für viele junge Musiker Must und Inspirationsquelle.

„Child Of Nature“ etwa, das John Lennon auf seinem zweiten Solo-Album „Imagine“ mit neuem Text in die Traumballade „Jealous Guy“ abänderte. Oder „Junk“, auf dem ersten Solo-Album von Paul McCartney zu finden. George Harrison nahm „Not Guilty“ und „Circles“ später auf seine Soloalben. „Mean Mr. Mustard“ und „Polythene Pam“ schliesslich fanden Unterschlupf auf dem Album „Abbey Road“. Es ist der mehr als würdige Abgesang der grössten Band aller Zeiten, das erst nach dem offiziell letzten Beatles-Album „Let It Be“ eingespielt wurde.

Details:

Das Weisse Album der Beatles gibt es in neu gemixter, restaurierter Form in verschiedenen Versionen: In der Vinyl-Version mit vier LPs, in der „Super-Deluxe“-Version mit sechs CDs und einer Bluray mit vielen Alternativ-Takes. Keine Fragen und Wünsche offen lässt die hier besprochene Drei-CD-Version mit den faszinierenden „Esher Demos“.

H. Elias Fröhlich

Be the first to comment

Leave a Reply