5 Fragen an KOCHKRAFT DURCH KMA

Photo: Janika Streblow
Anlässlich des Releases vom neuen Kochkraft durch KMA Album “Alle Kinder sind tot” haben wir mit Gittarist Manfred “Matze” Yildirim geredet, der uns etwas über das Album und den kreativen Schaffensprozess von Künstler:innen erzählt hat.
 
Tracks: Euer neues Album heißt „Alle Kinder sind tot“ …. Woran sind sie gestorben?
Matze: Wie unbefriedigend, wenn einem eine so pfiffig pointierte Frage mit einer derart langatmigen Antwort gedankt wird! (lacht) Es hilft ja nichts:
Wir haben das Album geschrieben und aufgenommen, als für kaum jemanden ein Krieg in Europa ein denkbares Szenario war. Wohl aber war die Welt von reichlich anderem Scheiß gebeutelt: Ausbeutung, Diskriminierung, Populismus, Schwurbelei, Umweltkatastrophen, you name it. Sucht man da nach Ursachen, landet man meist irgendwann bei der Schlechtigkeit der Menschen. Menschen schaden einander, benehmen sich egoistisch, rücksichtslos, oft schlicht dumm, als wären sie letzte Woche erst von den Bäumen runtergekommen. (lacht)
Der Albumtitel kann vor dem Hintergrund auf zwei Arten gelesen werden: Der Laden geht den Bach runter, die Kinder (stellvertretend für die Menschen, klingt nur schlimmer) sind wirklich tot, vielleicht verhungert, vielleicht als Arbeitskräfte ausgenutzt und weggeworfen, vielleicht durch Gewalt.
Gleichzeitig sind aber auch die inneren Kinder der Menschen gemeint. Man soll auf so eine schrecklich preußische Art erwachsen werden, funktionieren – und lernt zu diesem Zweck nicht, seine kindliche Fantasie und Inspiration zu bewahren, sondern diese tunlichst durch Disziplin, Misstrauen und materielles Streben zu ersetzen. Grau statt bunt. Die inneren Kinder vieler Menschen sind also tot: Verleugnet, vergessen, verkümmert. Den Leuten wird aberzogen, emphatisch und inspiriert aufeinander zuzugehen, weshalb sie sich schlechter umeinander und um ihre Welt kümmern, welche in der Folge ein immer härterer Ort wird: Teufelskreis! (lacht)
Das war der Gedanke dabei. Dann fiel Russland in der Ukraine ein und es starben wirklich Kinder, es ist so entsetzlich. Wir saßen zu dem Zeitpunkt schon auf einem fertigen Album und haben kurz überlegt, es aus Pietät umzubenennen und zu verschieben. Uns wurde aber schnell klar: Jetzt erst recht! Der Titel macht Bauchschmerzen und schlechte Vibes und das soll auch so sein. (lacht) Man assoziiert das ja sofort mit dem Krieg und das hilft, den Leuten vor Augen zu führen, was da für eine Scheiße passiert.
 
Tracks: Euer zweites Album ist ein ziemlich wuchtiger Schritt nach vorne, wenn man es mit Eurem Erstling vergleicht. Die Produktion lotet ganz neue Grenzen aus zwischen Electro und Punk, aber vor allem inhaltlich ist die Platte ganz schön harter (ernster!) Tobak.
Was waren für Euch die prägendsten Erfahrungen während des Schreibprozesses und inwiefern hat die politische Großwetterlage daran einen Anteil gehabt?
Matze: Och, da gibt es einiges (lacht). Allen voran ein bis zwei Besetzungswechsel, was fundamentale Änderungen im Schreibprozess bedeutet hat. Wir standen tatsächlich da, achselzuckend aber hochmotiviert, und haben einfach drauflos gemacht, fast immer alle gemeinsam, mal als Band, mal zu viert ums Klavier sitzend (lacht), mal zwischen Rechner und Synth-Kabelsalat, oft Tag und Nacht (lacht) (lacht). Und so ist es einfach passiert, zu unserer eigenen Überraschung und Freude. Wir haben gewissermaßen an der Lampe gerieben und den Kochkraft-Geist heraufbeschwört, damit der uns sagt, wer wir eigentlich sind und was in aller Welt wir hier machen. Das Verrückte ist: Die Sache hat offenbar derart kritische Masse erreicht und Eigenleben entwickelt, dass nicht nur Hörer:innen die Kochkraft unter vielen Bands erkennen, sondern dass auch wir selbst uns daran informieren können. Die Songs klingen drastisch anders als alles davor, und doch klingen sie 100% nach Kochkraft. Das festzustellen war fast auch ein bisschen unheimlich (geht ja um Geister), aber in erster Linie sehr sehr schön.
Ein weiterer Grund ist, dass wir dann für die Studio-Session unseren lieben, familienartigen Freund (und ehemaligen Bassisten) David Maria Trapp aka Pappa Paprika mitgenommen haben, als Produzenten und Engineer. Der hat großen Anteil daran, dass die Sachen so brachial, aber gleichzeitig erfrischend klingen. (lacht).
Die politische Lage hat sich erst danach so sehr zum Schlimmen gewendet, aber man könnte fast meinen, wir hätten das mit dem Album vorausgeahnt.
 
Tracks: Euch gelingt es immer wieder, sehr ernste Themen auf eine fast schon humorvolle Weise zu zerpflücken – auch wenn einem beim Hören das Lachen im Halse stecken bleibt.
Ist diese satirische Hülle für Euch eher eine Art Schutz, um noch eine künstlerische Distanz zwischen Euch und die Hörer:innen zu bringen? Oder dient sie sogar der Verstärkung, um noch mehr Menschen mit den Themen zu erreichen?
Matze: (lacht)
 
Tracks: Wie kam es zu den spannenden Feature-Beiträgen auf dem Album? Mit Sperling, Grossstadtgeflüster, Leitkegel und auch Liser sind ja einige hochkarätige Gäste auf Euren Songs zu hören…
Matze: Ein bunter Strauß an Gründen: Unser Schlagzeuger Beray ist mit Sperling als Produzent und Mischer eng verbunden, menschlich wie musikalisch. Grogsstadtgeflüster haben wir schon vor vielen Jahren ein paar Mal als Support begleitet (und tun das auch in diesem Jahr wieder). Leitkegel wird man einfach schlecht wieder los und bei Liser hat unser Gitarrist Manfred sich mal ein Herz gefasst und sie ganz verschämt mehr oder weniger auf der Straße angesprochen. Zack: Feature und Tour-Support! Wobei das alles ja eher die Umstände der Anbahnung sind (lacht). Der Grund ist überall schlicht und einfach das Gefühl von gegenseitiger Inspiration und die Lust, gemeinsam was cooles zu starten.

Tracks: Eure Cock Am Ring Initiative hat im Frühjahr so einige Wellen erzeugt und wurde vielerorts diskutiert. Was hat sich seitdem geändert in der deutschen Festival-Landschaft?
Und was bedeutet Euer Engagement für mehr Geschlechtergerechtigkeit für Euch selbst? Werden Kochkraft nun häufiger gebucht? Oder seltener, weil die Veranstaltenden Angst haben, die strenge Gender-Polizei ins Haus zu holen?
Matze: Um gleich mal den letzten Punkt aufzugreifen: Die strenge Gender-Polizei, genau die wollen wir ja nicht sein, und das auch recht vehement. Auch wenn es sicherlich kein großes Rätsel ist, wo wir gesellschaftspolitische so stehen, wollen wir nicht alle Mechanismen mitmachen. Wer gendert am härtesten? Wer hat vor lauter Gendern was anderes übersehen und sich dadurch angreifbar gemacht? Da ist man ja schon beim Urproblem der linken Debatte: Vor lauter alles-richtig-machen-wollen verstrickt man sich in Details, zerfleischt sich gegenseitig und kommt zu nix. Das ist natürlich polemisch (lacht) und diese Bestrebungen sind höchst ehrenwert, aber: Wir machen Kunst, wir spitzen zu. Und ich denke, es versteht sich von selbst, dass wir alle, jede und jeden gleich lieb haben, nämlich sehr.
Wir sind sehr froh und auch ein bisschen stolz, dass unsere Aktion solche Resonanz erfahren hat. Aber wir maßen uns natürlich nicht an, damit jetzt schlagartig eine messbare Veränderung bewirkt zu haben. Die Veränderung ist so oder so da, das ist erstmal fantastisch, aber natürlich passiert sie noch viel zu langsam, deshalb haben wir so gut wir konnten mit angeschoben.
Für uns selbst findet dieser Punkt zunächst mal in der Tatsache statt, dass wir genau halb/halb Frauen und Männer sind, ohne in Klischee-Rollen festzuhängen (so: Dudes spielen im Anzug Instrumente, Frauen singen, tanzen und räkeln sich im Kleid). Es fällt oft der Satz „Wir wollen doch nur Musik machen!“. Genau das ist es, wir machen einfach Musik.
Auf unser eigenes Booking hat sich das nicht großartig ausgewirkt, nein. Dabei haben wir in der Bühnenanweisung extra einen kleinen Polizei-Move versteckt: Die Veranstaltenden handeln sich eine drakonische Vertragsstrafe ein, wenn sie uns unter Verwendung von Begriffen wie „female fronted“ oder „Powerfrauen“ ankündigen. Da ist man ratzfatz ruiniert, der Laden gepfändet, die Hose runter – ich würde mir zweimal überlegen, ob ich diese Band buche! (lacht nicht).
Man kann auch sagen: Eigentlich sind wir eher die Gender-Feuerwehr (lacht).

Tracks: Wenn Du 1 Song des neuen Albums herausheben solltest: Welcher wäre es? Und warum?
Matze: Das will ich nicht, weil man damit immer den anderen Songs Unrecht tut (lacht). Aber es gibt ja eine Form zu wahren, darum wähle ich „Moonwalk Reprise“, an dem wird der Feuilleton richtig zu kauen haben.
 
Tracks: Abseits der Band sind einige von Euch auch hauptberuflich bei „was mit Medien“ unterwegs. Euer Drummer Beray ist als Produzent und Live-Engineer vieler Bands wie  z.B. Fjort, Lumpenpack, Sperling aktiv. Euer Gitarrist spielt in der Band von Jan Böhmermann.
Wie lautet der Tipp, um praktisch 24/7 kreativ sein zu können und so viel künstlerischen Output zu generieren? Woher kommt die ganze Energie?
Matze: Tatütata, die Gender-Feuerwehr! Nicht nur die Boys Beray und Manfred, so heißt der Gitarrist btw (lacht), haben einen Beruf im Bereich Kunst/Musik/Medien: Unsere Bassistin Nicki arbeitet zum Beispiel viel als Musikproduzentin, Theatermusikerin und wirkt an erfolgreichen Podcasts mit; Sängerin Lana befasst sich beruflich mit Texten. 
Unser hauptsächliches Rezept lautet „7/24“: 24 Tage am Stück kreativ sein, je 7 Stunden, dann 24 Tage lang immer 7 Stunden nichts tun, Intervallfasten sozusagen. Das wiederholt man ein paarmal, und schon sprießt die Inspiration und der Energievorrat wächst ins Unermessliche.

Tracks: Ganz fix zum Schluss: Die 3 deutschsprachigen Platten, die man 2022 gehört haben MUSS und warum?
Matze: Diese Frage lässt sich sachlich und neutral beantworten, indem man die Album-Jahrescharts 2022 googelt und dann, von oben beginnend, die ersten drei deutschsprachigen Platten nennt. Gern geschehen:
-Rammstein – „Zeit“
-Die Toten Hosen – „Alles aus Liebe“, 40 Jahre Die Toten Hosen
-Andrea Berg – „Ich würd’s wieder tun“
Warum? Weil es so ist.
 

Be the first to comment

Leave a Reply