STEPHAN EICHER & MARTIN SUTER Song Book

STEPHAN EICHER & MARTIN SUTER
Song Book
Universal Music

hef. “Se non è vero, è ben trovato”, sagt man in Italien. Auch wenn es nicht wahr sein sollte, so ist es wenigstens gut erfunden. Gut erfunden wie die Geschichte von den beiden Strahlern, die sich aufziehenden dicken Nebels wegen in eine Höhle flüchten, wo sie auf eine grosse, perfekte Quarz-Gruppe gestossen sein sollen. Der eine Strahler, Eicher, habe sich eben daran gemacht, die Quarzgruppe mit dem Strahlstock aus dem Granit zu befreien, der andere Strahler, Martin Suter, hört zum Glück diese Geräusche und findet die rettende Höhle sowie Eicher samt Quarz. Unter dem Titel “Die erste Begegnung” wird in der CD-Hülle ihr erstes Zusammentreffen geschildert. Daraus entsteht das bereits von Eichers letztem Album bekannte Lied “I weiss nid, was es isch”, diesmal live und mit Banjobegleitung gesungen. Als sich der Nebel verzogen hat, zeigt Eicher hinauf zum zerklüfteten Berg bis zum Gipfel des Pfleutistiels. “Siehst du das dort oben? Ganz weit oben?” Suter nickt. “Was ist das?” “Weiss nicht.” Sie schauen sich ratlos an, im schwindenden Licht der spätsommerlichen Abenddämmerung. 17 weitere, teils auch sehr poetische Stories zu den einzelnen Album-Tracks folgen, ebenfalls erfundene Geschichten über Hornusser und Hochzeiten. Suter warnt im CD-Booklet: „Bitte nicht alles für bare Münze nehmen.“ Die – fiktive – Begegnung jedenfalls zeigte Folgen. Da haben sich zwei Schwergewichte gefunden.

Der Troubadour, Chansonnier, Weltmusiker Stephan Eicher (57) aus Münchenbuchsee BE und der Zürcher Bestseller-Autor und einstige Star-Werber Martin Suter haben die 14 neuen Songs gemeinsam geschrieben. Und die beiden werden ab 27. Februar 2018 auch gemeinsam auf Tournee gehen. Eicher spielt mit Top-Band und singt, Suter liest Geschichten. Stephan Eicher gehört zu einer speziellen Elite berühmter Rock- und Popstars, die zwar hervorragende Songschmiede sind, aber es mit dem Texten nicht so drauf haben sollen. So Elton John und dessen kongenialer Partner und Texter Bernie Taupin, Peter Maffay, der zu eigenen Songs selten auch die Texte lieferte oder Udo Jürgens, der zwar seinen Text-Autoren zuweilen die Themen vorgab, aber selber kaum eigene Texte vertonte. Was früher für Eicher der französische Schriftsteller Philippe Dijan war, das ist jetzt Martin Suter.

“Song Book” ist ein sehr poetisches Album. Akustische Instrumente und Piano dominieren den Sound, dazu ein Banjo in der neuen Version von “Weiss nid, was es isch” sowie in “Weg vom Bäre”, ausserdem Streicher und Bläser (im 17. Titel “Aabelied”), Engelsgleiche Chöre (“Für immer”), ein zauberhaftes Duett mit der deutschen Hit-Sängerin Anett Louisan (“Still”) – Stephan Eicher war noch kaum je ein ganzes Album durch so leise. Die Texte alle in Berner Mundart, alles gereimt. Reimen im Dialekt würde zwar manchmal die dichterische Freiheit in andere Bahnen als gedacht lenken, meint Martin Suter. Aber das sei ab und zu auch eine Herausforderung für den kreativen Prozess. Viele Lieder sind fast geflüstert vorgetragen, die Stimme warm und nahezu einlullend. Die subtilen und inhaltsreichen Texte von Martin Suter zwischen Melancholie und romantischen Gefühlen – zum Beispiel „Für immer“, „Ds alte Paar“ oder „Nur um di“ – transportieren die Songs zuweilen in geradezu himmlische Sphären.Ist Stephan Eicher eher ein melancholischer und romantischer Typ? Diese Frage beantwortete er mir vor Jahren so: «Das hat eher mit Nachdenklichkeit zu tun. Ich glaube, wenn du das Bedürfnis hast, ein Gefühl auszudrücken, dann ist das einfacher in einem Song. Freudenmomente teilst du eher per Telefon mit. Ich aber schreibe lieber Lieder.» Dass er Talkshows und TV-Interviews wenn immer möglich meidet, dafür hat er eine Begründung. “Nur spezielle Menschen fühlen sich da wohl. Immer diese Kamera, und man darf nicht rauchen. Das ist doch so eine Art Beichtstuhl.“ Das sei nun mal die Tendenz in den Medien. „Man sieht echt perverse TV-Sendungen, wo sich Menschen vor Hunderttausenden produzieren.»

Für Stephan Eicher war es ein weiter Weg von der Neuen Deutschen Welle mit Bruder Martin in der Band “Grauzone” und dem Hit “Eisbär” bis hierher. Seine ersten Solo-Schritte machte er in Frankreich mit der Plattenfirma Barclay, die in der Schweiz und Deutschland von Warner Music vertrieben wurde. Aber die Warner-Leute konnten mit diesem in verschiedenen Sprachen singenden und sich vieler verschiedener Musikstile bedienenden Troubadour nicht viel anfangen. Louis Spillmann, ein Schweizer in Deutschland, umtriebiger Boss der damaligen deutschen Plattenfirma Phonogram, schloss sich mit Philippe Constantin von Barclay Paris zusammen und nahm Eicher kurzerhand unter Vertrag. In Deutschland wurde der Schweizer Pop-Chansonnier dank der rührigen Phonogram-Promotionabteilung schnell zum Insider-Act. Plattenboss Spillmann schwärmte: „Stephan ist sehr co-operativ und äusserst liebenswert“. Gefördert wurde Eicher auch von seinem Bewunderer Herbert Grönemeyer, der ihn auf seiner ausgedehnten Tournee ins Vorprogramm hievte. Auch wenn die deutschen Journalisten über den vielseitigen Schweizer in Jubelarien ausbrachen; Eicher startete in Deutschland nie richtig durch.

Dafür wurde er in Frankreich zum Superstar, schaffte es mit der Dialekt-Version von Mani Matters “Hemmige” sogar an die Spitze der französischen Hitparade, füllte die Hallen und Stadien. So konnte man erleben, dass Tausende von Franzosen lauthals die Textzeile “We si Emmige ei” mitsangen. Für Schweizer Konzert-Besucher ein ganz besonderes Gänsehaut-Erlebnis. Eichers Popularität in Frankreich zog auch andere Folgen nach sich. Die bekanntesten französischen Stars wurden Eicher-Fans. Einer seiner grössten und wichtigsten Fans war der grosse Johnny Hallyday. “Er fragte mich eines Tages an, einen Song für ihn zu schreiben”, erzählte mir Stephan Eicher in den 1990er Jahren in einem Interview. “Das ist, wie wenn Elvis anrufen würde. Morgens um drei Uhr klingelte das Telefon. Einen wie Johnny interessiert es eben nicht, ob du schläfst.” Eicher schrieb für ihn “Ne reviens pas”. “Und Johnny koppelte den Titel erst noch als Single aus”, freute sich Eicher damals. “Und das unter 24 Songs.” Als Hallyday im April 1994 eines seiner raren Konzerte in der Deutschschweiz gab, holte er im Zürcher Schützenhaus Albisgütli Stephan Eicher für zwei Songs auf die Bühne. Im Interview zuvor hatte Hallyday mir gegenüber noch in höchsten Tönen von den grossen Qualitäten des Songschreibers und Performers Eicher geschwärmt.

Wenn Stephan Eicher ein neues Album veröffentlicht, herrscht Sicherheitsstufe 1. Damit gehört er zu einer ganz besonderen Elite von Top-Stars wie Rolling Stones, U2 oder Aerosmith. Journalisten, welche die neuen Songs vor den Interviews hören müssen, haben Garantien zu unterschreiben, das Werk nicht anderen zu Ohren kommen zu lassen. Interview-Partner werden handverlesen. Alles wird so ins Timing gebracht, dass alle auf eine Art zum Primeur kommen. Nur dem Boulevard konnte Stephan Eicher auch früher schon nicht viel abgewinnen. Interviews mit ihm waren in meiner 20-jährigen Zeit beim Blick selten. Ich nahm es ihm nicht krumm. Ob er so schüchtern ist, wie er sich manchmal gibt, warum er während des Gesprächs und auch vor Kameras dauernd mit seinen Haaren spielt, das bleibt wohl sein Geheimnis. Vielleicht ist es auch Ausdruck seiner Eitelkeit oder gar Unsicherheit. Sein Image jedenfalls scheint Stephan Eicher sehr wichtig. Fotos von ihm mit Lebenspartnerin und seinen zwei Kindern gibt es nicht.

Fazit: In der helvetischen Musiklandschaft ist Stephan Eicher ein Solitaire. Einer, wie es nur wenige gibt, Künstler wie etwa Boris Blank, Dieter Meier und Polo Hofer (+). Auf seine Art ist Stephan Eicher ein Phänomen, ein Genie, Zigeuner, Weltbürger, Bohemien. Einer für die Ewigkeit.

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