THE ROLLING STONES Charlie Is My Darling

THE ROLLING STONES Charlie Is My Darling

THE ROLLING STONES
Charlie Is My Darling
abkco films

hh. Weshalb dieser Film, der die jungen Stones drei Tage lang auf einer kurzen Irland Tour anno 1965 begleitet, erst jetzt regulär veröffentlicht wird, ist ein Rätsel. Denn, das sei vorweg gesagt, in der quantitativ gut bestückten Stones-Videografie nimmt „Charlie Is My Darling“ eine Sonderstellung ein und ist unverzichtbar für jeden Stones-Fan. Es gibt wohl keinen Film über Jagger & Co, der näher an die Band herangeht und das 60ies-Gefühl sowohl bei den Fans wie auch den Musikern dermassen authentisch darstellt. Die Stones hatten soeben ihr „Can’t Get No Satisfaction“ an die Spitze der britischen Single-Charts katapultiert, waren jedoch noch Längen von späterem Superstar-Status und –gehabe entfernt. Hier wird eine junge Bluesrockband gezeigt, vor hinter und auf der Bühne (in kleineren Venues), die ihren frischen Erfolg sichtbar geniessen und sogar die permanenten Fanattacken, die bis hin zu für die Musiker gefährlichen Bühnenstürmen ausufern, mit einem Grinsen im Gesicht „überstehen“. Die Stones präsentieren sich hier noch als eingeschworene Band in einem intakten Gefüge. Davon zeugen die nächtlichen alkoholschwangeren Jam-Sessions im Hotel, die besonders Jagger und Richards enorm Spass machen und wo auch schon mal unter Gelächter ein Beatles-Song („Eight Days A Week“) angestimmt wird. Gereist wird wie jeder Otto Normalverbraucher im Zug und gespeist wird zusammen in kalt wirkenden, von jeglichem Luxus weit entfernten und von den Fans (die sich vor den Türen und Fenstern drängeln) abgesperrten Räumen. Beeindruckend sind die Live-Sequenzen, die raue und ungestüme Versionen früher Stones-Hits beinhalten und schon allein dadurch den Erwerb dieser DVD mehr als rechtfertigen. „Charlie Is My Darling“ ist ein ungeschönter Einblick in den Touralltag einer Band zu einer Zeit, als der Rock laufen lernte. In den Interviewsequenzen verstecken sich die Musiker noch nicht hinter Floskeln und Masken, sondern sagen klar, was Sache ist. Und die ist neben dem Erfolg auch die Schattenseite, die es den Musikern nicht mehr erlaubt, sich in der Öffentlichkeit frei zu bewegen (was speziell Charlie Watts auf die Nerven geht), sowie der permanente Erschöpfungszustand, der den Boys sichtbar an die Substanz geht. Die Originalaufnahmen wurden hervorragend restauriert, gleiches gilt für den Ton. Fazit: Ein herausragender Film, der zudem einen intensiven Einblick in die britische Gesellschaft der Mittsechziger zulässt. Unverzichtbar für jeden Stones-Fan und Musikhistoriker. Klasse!

Hanns
About Hanns Hanneken 528 Articles
Hanns, der Gründer von TRACKS, ist der CH-Musikszene seit den 80er-Jahren als Produzent, Musiker und Redaktor eng verbunden. Er war jahrelang Chefredaktor des Schweizer Musikmagazins MUSIC SCENE, des deutschen Magazins MUSIK SZENE und arbeitete für u. a. MUSIK EXPRESS, METAL HAMMER.