SUMMER BREEZE 2019 – Festivalbericht

Dinkelsbühl, ein beschauliches spätmittelalterliches Städtchen im Herzen Mittelfrankens. Vornehmlich Fachwerkhäuser säumen die pittoresken, ruhigen Gässchen dieses Landidylls. Man würde sich schlichtweg in Schlumpfhausen wähnen, wäre man sich der Tatsache nicht bereits gewahr (vgl. den letztjährigen Festivalbericht), dass sich eine viertelstündige Busfahrt entfernt der musikalische Höllenschlund öffnen wird. So wurden die Festivalenthusiasten – und Enthusiasmus ist wirklich unentbehrlich, will man dem geballten musikalischen Programm vier ganze Tage lang folgen – denn auch nicht von Vader Abraham empfangen, sondern von den altehrwürdigen Death Angel.

Besagte Death Angel gehören zu einer Schar von Bands, welche Anfang der 80er-Jahre des letzten Jahrhunderts in der Bay Area zu San Francisco mit der neuen musikalischen Spielart namens Trash Metal, anfänglich einem Konglomerat aus Hardcore Punk und NWoBHM, begannen Furore zu machen. Jedoch verfolgten Death Angel dieses Rezept beileibe nicht so eisern, wie sie uns dies in den letzten Jahren zwecks Teilhabe am Bay-Area-Thrash-Kultkuchen weismachen wollen. Bisweilen schritten sie, verglichen mit ihren Thrashkumpanen (Metallica, Exodus, Testament), nämlich gleichsam avantgardistisch zu Werke, indem sie auch in andere musikalische Richtungen, wie gar Funk, schielten. Davon war auf dem Acker des Summer Breeze allerdings nicht viel zu hören, so stammte das meiste dort vorgetragene Liedgut von ihren neueren Alben. Die irrwitzig schnellen Gitarrensoli und -riffs wurden der geneigten Zuhörerschaft messerscharf und in glasklarer Soundqualität kredenzt. Auch Mark Oseguedas oftmals ins Kreischen abdriftende Gesangsdarbietung war mustergültig – ein starker Auftritt einer routiniert, aber gleichzeitig frisch wirkenden Band mit viel Kultfaktor.

Dagegen wirkte der anschliessende Auftritt der schwedischen Melodic-Death-Metaller von Soilwork, auch wenn perfekt gespielt – oder vielleicht gerade deshalb –, verhältnismässig steif und beinahe klinisch rein. So rein, dass selbst die cleanen, filigranen Gitarren-Intros ab Konserve gespielt wurden, vermutlich damit diese auch ja durch keine potentiellen Ungenauigkeiten verschmutzt werden: sterile Studiomusik live auf der Bühne vorgetragen.

Und jetzt zu etwas ganz anderem: Auf der Bühne stehen ein (einziger) Marshall-Gitarrenverstärker sowie das Äquivalent für Tiefsaiter, ein Ampeg-Bassturm normaler Bauart. Dabei handelt es sich um zwei verhältnismässig «harmlose» Produkte, wie sie in jedem durchschnittlichen Musikalienladen feilgeboten werden. Bereits die ersten Saitenanschläge der aus Richmond, Virgnia, stammenden Stoner-Doom-Metal-Band, Windhand lassen aber die Eingeweide derart stark erbeben, dass man hinter dieser fuzz- und hallgeschwängerten Klangkulisse eine Art dunkle Magie vermutet. Wie haben die Herrschaften ihr Equipment nur frisiert? Apokalyptischen Flatulenzen gleich, peitschen dem Publikum wabernde, dröhnende, bassige und bis knapp vor die Unkenntlichkeit verzerrte Riffs mit viel Vibration entgegen. Mit dem gekonnten Einsatz von Monotonie und Repetition als Stilmittel verschaffen sie ihren ohnehin bereits minimalistischen Kompositionen zudem etwas Ekstatisches – eine Gratwanderung, die längst nicht jede Band dieses Genres derart meisterlich beherrscht. Windhand verpassten ihrer Zuhörerschaft eine wohltuende, und dies ist durchaus physisch zu verstehen, musikalische Ganzkörpermassage, nach welcher diese entspannt zur nächsten Bühne ziehen konnte.

Dort wartete der kauzige Alien-Prophet Peter Tätgren, welcher spätestens seit seiner schwedisch-germanischen Kooperation mit Till Lindemann («Skills in Pills») mittlerweile allen ein Begriff sein dürfte, mit seiner Todesmetalltruppe. Wie zu erwarten, boten Hypocrisy klassischen Schwedentod erster Güteklasse. Das Repertoire bot einen Querschnitt durch die mittlerweile bereits 27-jährige Bandgeschichte. Einziges musikalisches Manko war Herrn Tätgrens sich zuweilen in eigentümliche Höhenlagen verirrende Clean-Stimme. Dies erstaunte ein wenig, da er doch sein reines Organ bei seinem Nebenprojekt Pain stetig einsetzt. Möglicherweise war diese Anomalie jedoch nur den späten Abendstunden oder extraterrestrischer Strahlung geschuldet.

Die schwedischen Viking-Progressive-Metaller von Enslaved gingen leider in ihrem Langschiff sang- und klanglos unter. Ihr auf Platte doch sehr innovatives und ansprechend produziertes Machwerk vermochte live leider überhaupt nicht zu zünden, zu schmalbrüstig und fehlerhaft waren die Gesangsparts, zu unstimmig und langfädig war der Einsatz elektronischer Effekte.

Der nächtliche Temperatursturz von mindestens gefühlten 10 Grad liess einen grossen Teil der Besucherschar das Gelände unterkühlt, aber voller Vorfreude auf den nächsten Festivaltag verlassen.

Auf der erst am Donnerstag eröffneten Hauptbühne zeigten Clawfinger dem Publikum vom ersten Takt an, wo der Hammer hängt. Die schwedisch-norwegischen Sprechgesangs-Metaller machten mit viel Spielfreude, Witz, aber auch Lautstärke bereits von weitem auf sich aufmerksam. Technische Probleme negierte die Band glattweg, anstatt Anstalten zu treffen, diese auf Kosten der energetischen Konzertstimmung zu lösen. So anerbot sich Keyboarder, Jocke Skog, das Gesangs-Sample bei «Do What I Say» gleich selbst zu singen, als es auf seinem Rechner nicht anspringen wollte – dies sehr zur Belustigung der Massen. Diese wussten den zur «Parodie» verkommenen Song wohl letztlich gar noch mehr zu schätzen als die komplikationsfreie Fassung.

Bei im Vergleich zum Vorabend angenehm sommerlichen Temperaturen begrüsste der mutmasslich erst am Nachmittag angereiste Chuck Billy, seines Zeichens Sänger der Thrash-Metal-Legenden Testament, die versammelten Massen zum «Winter Breeze». Zugegeben, das Klimadiagramm von Dinkelsbühl kann mit demjenigen ihres Herkunftsortes, der kalifornischen Bay Area, wahrlich nicht mithalten. Indem die Band aber quasi ein Golden-Greats-Programm ihres Schaffens zum Besten gab, heizte sich die Stimmung auf der Bühne sowie im Publikum rasch auf. Auf gewohnt hohem musikalischem Niveau schmetterten die Ausnahmemusiker um Profi-Jazzer Alex Skolnick ihr mittlerweile geschichtsträchtiges Songmaterial ins Publikum. Mit ihren energiegeladenen Live-Auftritten sowie auch der Qualität ihrer letzten Platten haben die alten Herren die Big Four des Thrash Metal schon längst überholt, wenn nicht gar überrundet – von den nun leider abtretenden Grossmeistern Slayer mal abgesehen.

Und ja: In Flames waren am diesjährigen Summer Breeze ebenfalls zugegen. Da die Band in den letzten Jahren fast auf jedem Metal-Festival in Europa anzutreffen war, bedarf dies aber eigentlich keiner Erwähnung. So verlässlich wie ihr Erscheinen ist auch ihr Auftreten: Da passt alles, selbst wenn von den verbleibenden drei Bandmitgliedern der fünf Mann starken Band zurzeit noch gerade zwei «offizielle» auf der Bühne stehen. In Flames sind zu einer perfekt laufenden Metal-Maschinerie geworden, die stets ganz vorne mitmischt, wohl nicht zuletzt, weil sie ihren Stil auch gerne mal dem aktuellen Mainstreamgeschmack anpasst. Dennoch kommt beinahe an jedem ihrer Konzerte jener glückliche Moment, in welchem Anders Fridén Liedgut längst vergangener Tage ankündigt und die «corige» beziehungsweise modernmetallene Gegenwart für ein paar Minuten ruhen lässt. «Colony» und «Cloud Connected» waren es dieses Mal.

Der Teufel erschien den Besuchern des Summer Breeze dieses Jahr vor allem in der Gestalt Glen Bentons. Dieser lieferte mit seinen Deicide einen schnörkel- sowie makellosen Auftritt voller kompromissloser Raserei, und dies auf erstaunlich hohem spieltechnischen Niveau. Death Metal alter Schule, ohne jeglichen Firlefanz und einem Minimum an ohnehin unnötiger Interaktion mit dem Publikum. Und mal Hand aufs Herz: Hätte der «gute» Glen denn was Schlaues zu sagen? Das wäre ein Novum.

Tete-tetete-tätätät-tämmmm-tämmm. Grunz, keif, tätätätäm, bäng und dies in drei Taktarten gleichzeitig. Wer fällt als erster raus? Im Normalfall keiner. Auch wenn man munkelt, dass ebendies dieses Jahr in Dinkelsbühl geschehen sein soll. Dass sich auch die Rhythmuskünstler von Meshuggah ab und zu verspielen, leugnen wir nun mal einfach. Ihre Tonkunst läuft präzise wie ein Uhrwerk. Ein Soundfabrikat aus Schweden, welches zwar zu Beginn reichlich unterkühlt daherkommen mag, aber binnen Minuten eine derartige Faszination entfacht, dass der Zuhörer beziehungsweise Zuschauer nicht mehr imstande ist, den Blick von den Griffbrettern der Musikanten zu lösen. Die Tatsache, dass derart unkonventionelle, schwer greifbare, polyrhythmische Song-Konstrukte in der Lage sind, eine beachtliche Zahl «Normalmetaller» zu mobilisieren und damit das Infield in Windeseile zu füllen, war aber beinahe so beindruckend wie die technische Leistung auf der Bühne selbst. Die Band darf daher guten Gewissens als Highlight des Tages, wenn nicht gar des Festivals selbst bezeichnet werden.

Am restlichen Programm des Summer Breeze Festivals gemessen, erscheinen Caspian aus Beverly, Massachusetts, auf den ersten Blick als etwas genrefremd, aber nur auf den ersten. Denn schon bald offenbart sich die schiere Brachialgewalt dieser Postrock-Band, welche manche High-Gain-Schrei- und Grunz-Metal-Combo an Intensität locker in den Schatten stellt. Ein harmloses Bündel sanft gespielter, mit viel Hall und sonstigen Effekten angereicherter Noten schwillt innert weniger Minuten, beinahe unbemerkt, zum bösartigen Soundkoloss an. Ein erspriesslicher instrumentaler Ausklang eines ereignisreichen und lohnenswerten Festivaltages.

Legion Of The Damned aus Holland vertrampelten die Tulpen gleich straussweise und warfen wie Besessene mit Holzschuhen um sich. Slayereske Passagen im mittleren Tempobereich wechseln sich mit rasanten, deathmetallenen ab und ergeben so ein ansprechendes und unterhaltsames, wenn auch wenig innovatives Gemisch, das vorzüglich zu Bier schmeckt.

Dieses Stichwort lässt einen nahtlos an die Show von Airbourne anknüpfen. Mit dem Zerrschmettern von Bierdosen auf dem Kopf und dem Darbieten von Rockkrachern einfachster Machart hebt das ebenfalls vom Känguru-Kontinent stammende AC/DC-Generikum auch am müdesten Festivaltag die Stimmung eines jeden Fransenjacken- Altrockers. Die wahre Kunst dieser Band besteht wohl letztlich darin, den zigsten Aufguss dieses Rock-’n’-Roll-Gebräus auch im Jahre 2019 noch glaubwürdig zu verkaufen. Dies schafften sie auch am diesjährigen Summer Breeze wieder mit Leichtigkeit.

Just als es einzunachten begann, verwandelte King Diamond die Hauptbühne in ein wahnwitziges, wenn auch nicht mehr ganz zeitgemässes Horror-Kasperle-Theater. Obwohl musikalisch einwandfrei dargeboten, lockte der dunkle Puppenspieler aber vergleichsweise wenig Zuhörerschaft von den Essenständen weg. Dabei hätte er durchaus etwas mehr Beachtung verdient gehabt, zumal er als Gründer von Mercyful Fate die heutige Metal-Welt doch massgeblich mitbeeinflusst hat. Man stelle sich nur mal den Black Metal ohne Corpse Paint vor. Aber: wer vorrangig auf seine Horror-Show setzt, tut gut daran, diese über die Jahre hinweg auch kontinuierlich weiterzuentwickeln, ansonsten er im Zeitalter von Rammstein eher das Zwerchfell stimuliert als Gänsehaut verursacht.

Für letztere haben Zeal & Ardor aus unseren Landen gesorgt. Lange erfuhr die Metalmusik keinen derartigen Innovationsschub mehr wie seit der diabolischen Adaption afroamerikanischer Gospelmusik durch Manuel Gagneux und sein schwarzmetallisches Orchester. Fraglich ist jedoch, ob dieses Konzept auch zukunftsträchtig ist. Darüber musste sich das Publikum jedoch an diesem Abend den Kopf nicht zerbrechen, die kraftvolle Gospel-und Bluesstimme Gagneux’ zog es hierfür zu sehr in den Bann. Verzückung machte sich allenthalben breit. Die Massen waren dem blackmetallischen Hohepriester treu ergeben. Dieser dankte es ihnen mit äusserst sympathischen und intelligenten Gesten, die keinerlei dümmliches, pseudo-böses Gehabe oder geisttötende Interaktion mit dem Publikum beinhalteten, wie dies sonst im Genre leider so oft der Fall ist. So kündigte Gagneux denn auch bereits zu Beginn des Gigs an, dass er nicht viel reden werde und er hoffe, dass dies ok sei. Dem gekonnt inszenierten tonalen Wechselspiel von Licht und Dunkel, den einnehmenden Rhythmen und der brachialen Urgewalt der schwarz- und teilweise schon fast postmetallisch anmutenden Soundwände hätte dies auch nur geschadet – jedes Wort wäre eines zu viel gewesen. Ohne Zweifel bescherten Zeal & Ardor dem Festival ein weiteres, unvergessliches Konzert-Highlight.

Der Rahmen des Festivals blieb seit dem letzten Jahr im Grossen und Ganzen unverändert, weshalb der Autor den Anlass nach wie vor nur wärmstens empfehlen kann (siehe hierzu auch den letztjährigen Festivalbericht). Ein wichtiger Vorzug zu anderen Festivals dieser Grössenordnung ist und bleibt übrigens die Drehbühne, welche dafür sorgt, dass die Umbaupausen möglichst kurz bleiben. Besonders positiv hervorzuheben ist der Umstand, dass – zumindest in der diesjährigen Ausgabe – keine einzige ärgerliche Programmüberschneidung zu beklagen war.

Wir dürfen gespannt sein, was uns das Summer Breeze 2020 bringt.

 

Text: Mario Sulser

Bilder: Matthias Thümmler

 

 

 

 

 

 

Aline
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