Interview KORPIKLAANI – “Was aber nicht heisst, dass Alkohol keine Rolle spielt”

Das Interview zum neuen Album «Kulkija» der finnischen Folkrocker Korpiklaani findet Monate vor dessen Release statt, im Backstage des Greenfield-Festivals im Juni in einem Interview-Container, in dem es allerdings nur unwesentlich leiser ist als im Hangar. Auf der Bühne bolzen Eisbrecher, im Container sind Jonne Järvelä(Gesang und Gitarre), Tuomas Rounakari (Violine) und Sami Perttula(Akkordeon) bester Laune: Sie haben ihren Auftritt am Greenfield grad hinter sich.

 

«Kulkija», euer neues Album, ist nicht mehr so Volldampf wie die Vorgängeralben. Was ist passiert?

Jonne:Ja, das stimmt. Es ist melodiöser. Es zeigt, wo wir zurzeit stehen: Wie wir spielen und was wir spielen wollen.

Tuomas:Es gibt mehr verschiedene Facetten im neuen Album, die sind weniger dynamisch und gehen dafür tiefer, als sie noch bei unserem letzten Album «Noita» gingen. Das ist vielleicht nicht das, was unsere Fans erwarten.

Jonne:Wir haben diesmal viele First-Takes aufs Album genommen, die sind irgendwie kräftiger. Ich finde, dass ein Song oft an Kraft verliert, wenn man ihn im Nachhinein noch lange bearbeitet.

Sami:Aber immerhin: Es hat zwar immer noch Partysongs auf «Kulkija», aber dieses Album kann man auch zum Autofahren hören oder zu einem Sonnenuntergang über einer schönen Landschaft.

 

Dann muss es aber eine finnische Landschaft sein…

Sami:Ich finde, «Kulkija» ist ein erheiterndes Cheer-up-Album, kein In-your-face-Album. Es geht mehr um Frieden und Happyness als um Party.

 

Melancholisch ist vielleicht nicht das richtige Wort. Aber «Kulkija» ist definitiv… seriöser?

Jonne:Oh, ich finde schon, dass es melancholisch ist. Auf «Kulkija» singen wir nur über einen einzigen Typ, nicht in jedem Lied von einem anderen Typen. Diesem Einzeltyp widerfahren Dinge im Leben, wie sie uns allen widerfahren können.

 

Klingt, als hättet ihr in euren eigenen Leben viel erlebt in letzter Zeit.

Jonne:Ja, durchaus. (Die Musiker schauen sich gegenseitig an, murmeln etwas auf Finnisch, sagen aber nichts weiter. Dazu reichen wohl die 15 Minuten Interviewzeit nicht.)

Tuomas: Für mich ist «Kulkija» eine logische Weiterentwicklung von «Manala», mit dem ich 2015 bei Korpiklaani eingestiegen bin, zu «Noita» und jetzt eben zu «Kulkija». Die Folk-Instrumente haben in dieser Zeit mehr Platz erhalten, in der Musik und im Mix. Auf «Manala» waren die Folk-Instrumente kaum zu hören, «Noita» hatte eine ausgewogene Balance zwischen Folk und Metal, und mit «Kulkija» haben wir den Einfluss der Folk-Instrumente weiterentwickelt. Das ist jetzt alles sehr viel organischer.

 

Frage an Jonne: Das würde dann bedeuten, dass Toumas und Sami, der Violonist und der Akkordeonist, sich durchgesetzt haben.

Jonne:Hmmmm…. ich weiss, was sie können und was sie wollen… aber ja, irgendwie schon.

 

Es gibt nur noch ein Trinklied auf dem neuen Album

Sami:Ja, das stimmt. Aber schon auf dem letzten Album waren kaum noch Trinklieder zu hören. Was aber nicht heisst, dass Alkohol keine Rolle spielt: Korpiklaani ist hundert Prozent finnische Mythologie, und in dieser spielt Alkohol als zeremonielles Mittel eine wichtige Rolle. Schon «Ukon Wacka», einer unserer erfolgreichsten Songs, handelte nicht vom Saufen, sondern von einem Bier, das ein Dorf gemeinsam braut, um damit um Regen zu bitten. Auch in Riten zum Beispiel um Fruchtbarkeit spielt Bier bei uns eine wichtige Rolle.

 

Geht ihr denn in die Natur, die ihr besingt? Sauna im Wald mit heissen Steinen und so?

Jonne:Klar! Ich weiss zwar nicht, was ihr mit heissen Steinen alles anstellt, aber die Antwort ist: ja.

 

Schwitzhütte. Eine Hütte bauen, Steine im Feuer erhitzen und in die Mitte der Hütte legen.

Jonne:Ah, Schwitzhütte. Das ist toll!

Tuomas:Für mich bedeutet draussen in der Natur zu sein, verbunden zu sein mit meiner eigenen Natur. Religion, Politik und Gesellschaft geben einem immer vor, wie man sein sollte, aber das ist Bullshit. Denn wenn du in der Natur bist, bist du automatisch mit deiner eigenen Natur verbunden, und das ist, was zählt.

 

Nun werdet ihr hoffentlich nicht sauer, aber lasst uns aus eurem deutschen Wikipedia-Eintrag zitieren: «In ihrer Heimat wird die Musik Korpiklaanis den Mitgliedern zufolge als Alte-Leute-Musik mit Heavy-Metal-Gitarren wahrgenommen.»

(Lautes Gelächter)Jonne:Der ist gut!

 

Das stört euch nicht?

Sami:Nein, kein bisschen. Angeblich sind wir in Japan sehr erfolgreich. Aber nicht wegen unserer Musik, sondern weil unsere Songtitel falsch übersetzt sind (lautes Gelächter). Der Ausdruck «der Geist des Waldes» wurde übersetzt mit «Lass uns die Waldfrau finden und ficken». «Wooden Pines» wurde übersetzt mit «Lass und Party machen und kämpfen». Das ist lustig.

 

Also, seriously, zurück zu eurem neuen Album: Wenn «Kulkija» die logische Fortsetzung der beiden Alben davor war, wohin werdet ihr in Zukunft gehen?

Jonne:Wir haben Spass am Musikmachen. Man muss die Songs lieben, die man spielt. Das tun wir. Wo das hinführt, wissen wir nicht.

 

Vor lauter lachen und weil Finnen ganz langsam sprechen, sind inzwischen 30 Minuten vergangen, doppelt so lange wie vorgesehen. Und länger, als der brasilianische Journalist erhalten hat, der, wie es hiess, extra für Korpiklaani angereist war.

Und zu allem Zeitüberzug gibt’s am Ende auch noch ein schönes Gruppenfoto.

Interview: Aline Hug und Christian Hug

Christian
About Christian Hug 180 Articles
Seit den Sex Pistols «into music», seit 2001 freier Journalist und Buchautor. Jahrelange Mitarbeit im «Music Scene», «Toaster», TagesAnzeiger - Ernst», «Style» und andere. Kein MP3-Freund.

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