Hugs Wegweiser durch die Populär-Galaxie: #43 – Streunt, ihr Katzen!

Streunt,
ihr Katzen!

Liebe Kinder. Ihr habt sicher mitgekriegt, wie sich eure Eltern freuen, dass dieses Altherrentrio namens Stray Cats ein Album veröffentlicht. Ihr habt deshalb vorab mal reingeklickt auf Amazon, und jetzt wundert ihr euch: Was zum Kuckuck soll denn an dieser Musik so spektakulär sein? Die Antwort ist simpel: Nichts. «40», so heisst das Album, ist unspektakulärer Standard-Rockabilly ohne besondere Ecken und ohne spezielle Kanten. Einfach so Rockabilly zum Wohlfühlen. Das ist okay, liebe Kinder, denn ihr müsst wissen: Eure Eltern freuen sich nicht spezifisch über die Musik von «40», sondern über den Umstand, dass es dieses Album überhaupt gibt.
Dazu hilft es, sich ein bisschen in Geschichte schlau zu machen. Es war in den frühen Achtziger-Jahren, die Welt fieberte grad am Punk, während gleichzeitig die Konjunktur durch die Decke ging, alle waren irgendwie hibbelig und aufgeregt, und die Punks mochten die Rockabillys mit ihren Schmalztollen nicht besonders und umgekehrt auch, bis die Punk-Ikone Joe Strummer selig von der Punk-Superband Clash sich Rockabilly-Kleidung kaufte und so angezogen in sein Stammpub ging, und vor allem: Bis das amerikanische Trio Stray Cats (da sind sie ja) in London auftauchte und mit fetzig-punkigem Rockabilly beide Szenen aufmischte und miteinander versöhnte und darüber hinaus 1981 mit ihrem selbstbetitelten Debütalbum auch gleich noch die internationalen Charts stürmte. Das, liebe Kinder, war echt geil damals. Das hatte Druck und Schub, auch wenn man kein Rockabilly war, nicht wie dieses lahmarschige Trap-Scheisszeugs, das ihr zurzeit gerade hört.

Nun denn. Die Stray Cats lösten sich irgendwann auf. Genaugenommen 1984 und 1992. Stehschlagzeuger Slim Jim Phantom hat seither hin und wieder ein bisschen gerockt, vor allem 2000 zusammen mit Motorheads Lemmy Kilmister selig in der Band The Head Cat. Kontrabassist Lee Rocker hat alle paar Jahre ein klassisches Rockabilly-Album unter seinem Namen veröffentlicht. Und Sänger Brian Setzer war lange Jahre mit einem Grossorchester unterwegs, das turbocoolen Powerswing spielte. Die haben also immer was gemacht. Und jetzt, 40 Jahre nach der Gründung der Stray Cats, haben die Jungs eben aus lauter Freude am Leben 12 Rockabilly-Songs eingespielt, die nichts mehr sein wollen, als ordentliche Rockabilly-Songs. Ihr müsst das nicht zwingend so toll finden wie eure Eltern, liebe Kinder, aber das ist, natürlich objektiv betrachtet, immer noch zehnmal lustiger als das Mumble-Rap-Genuschel, das ihr so hört.

Im Übrigen bin ich der Ansicht, dass Bono Vox verboten werden sollte.

Christian
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Seit den Sex Pistols «into music», seit 2001 freier Journalist und Buchautor. Jahrelange Mitarbeit im «Music Scene», «Toaster», TagesAnzeiger - Ernst», «Style» und andere. Kein MP3-Freund.

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