Hugs Wegweiser durch die Populär-Galaxie: #15 – Digitaler Overkill

Digitaler
Overkill

Nein, meine lieben Freunde und Freundinnen, die CD wird nicht aussterben. Die CD wird ewig leben. Das hat Gründe.
Erstens: Es gibt die passionierten Musikfreunde. Die kaufen und hören viele Alben, weil sie Musik als Bestandteil ihres Lebens verstehen. Und es gibt diejenigen, für die Musik nur Unterhaltung am Rande ist. Letztere kauften früher statistisch gesehen 1,5 CDs pro Jahr, und das war die neue Céline Dion oder die neue Phil Collins. Sie sind die Mehrheit der Konsumenten. Ihnen kommt es nicht drauf an, ob sie Musik von der CD oder vom Computer hören, und weil sie sich mit Streamingdiensten den ganzen Tag berieselt lassen können, ist digitale Musik ganz praktisch und platzsparend. Sie machen den Grossteil der digitalen Konsumenten aus. (Bemerkenswerterweise geben sie, das habe ich letztes Mal schon gesagt, heute mehr Geld für Musik aus als früher.) Der Musikfan aber will «die Neue» von Five Finger Death Punch oder «die Neue» von Sophie Hunger.
Womit wir bei Zweitens wären: Digital ist nichts zum Anfassen. Wir Menschen aber berühren gerne die Dinge, die wir lieben – by the way auch einer der Gründe, warum die gedruckte Tageszeitung nicht aussterben wird. Musikfreunde denken in Alben, weil Alben für Epochen einer Band stehen, für eine Zusammenfassung einer Zeitperiode derjenigen Musiker, deren Leben und Arbeiten sie mitverfolgen. Das Ergebnis einer Periode ist für einen Musikfreund repräsentativer als Einzelstück.
Was uns zu Drittens a) führt: Musikfreunde sind Sammler. In einer Sammlung gibt es Prunkstücke und reguläres Sammelgut und Kuriosa. Eine Sammlung in diesem Sinne macht digital keine Freude, weil Prunkstücke, Reguläres und Kuriosa gleichwertig digital aufgelistet sind.
Und Drittens b): Die Menge an digital gespeicherter Musik überfordert unser auf Ordnung und Übersicht ausgerichtetes Wesen: 40’000 Songs auf einem winzigen iPod – buchstäblich unfassbar. Wie soll man da stöbern und blättern und «alte Songs wieder mal hervornehmen», wenn man nicht mehr weiss, wo die sind? 50 Millionen Songs auf Spotify – das ist so unüberschaubar wie Ameisen im Ameisenhaufen zählen. Zudem: Wir verlieren uns allzu schnell beim Rumzappen im digitalen Heuhaufen. Das ist auf Dauer unbefriedigend.
Und natürlich Viertens: Die Qualität. Ja, die Qualität. Die Rangliste von oben nach unten: Flag-Datei, digital zwar, aber mindestens 25 Megabyte pro Song, was dann Therabyte-Speicher und Highest-End-Hardware benötigt, was nur die wenigsten vermögen. Dann kommt die Vinyl-Schallplatte. Dann die CD (Ha! Da ist sie!). Dann die WAV-Datei. Und ganz am Ende die MP3-Datei, kaum besser als ein Küchenradio. Wir sehen: iTunes verliert in den Augen der Qualitätsbewussten Hörerinnen und Hörer.
Wenn Sie also kein Céline-Dion-/Phil-Collins-Konsument sind: Haben Sie keine Angst vor der Zukunft. Vertrauen Sie auf die CD. Oder auf Vinyl. Und nutzen Sie digitale Musik nur als ergänzendes Medium. Geben Sie Argumenten wie «kein Platz» keine Chance. Bleiben Sie Sammler. Geniessen Sie gute Klangqualität. Stay tuned.

Tracks 5 15 (September/Oktober 2015)

Christian
About Christian Hug 180 Articles
Seit den Sex Pistols «into music», seit 2001 freier Journalist und Buchautor. Jahrelange Mitarbeit im «Music Scene», «Toaster», TagesAnzeiger - Ernst», «Style» und andere. Kein MP3-Freund.

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