ELUVEITIE Interview mit Frontmann Chrigel Glanzmann

«Und das, glaube ich zumindest, hört man»

Chrigel Glanzmann, Frontmann der Schweizer Folkmetalband Eluveitie, stand dem TRACKS eine Stunde lang Rede und Antwort.

Eluveities Lieder werden in Englisch und in Gallisch, eine alte keltischen Sprache, gesungen. Dafür arbeitet ihr mit Wissenschaftlern von Universitäten aus ganz Europa zusammen. Wie finden die es, dass Gallisch mit Metal kombiniert wird?
Was wir machen, kommt bei ihnen gut an. Die Zusammenarbeit mit den Wissenschaftlern ist sehr relaxed und nach all den Jahren auch sehr kollegial, wir arbeiten meist mit den gleichen zusammen. Ich finde es cool, dass sozusagen Freaks auf Freaks aufeinandertreffen. Die wenigsten Wissenschaftler, die ich in diesem Bereich kennengelernt habe, sind stinknormale Leute. Das finde ich toll!

Wie läuft dieser Prozess denn ab? Gebt ihr die fixfertigen Texte zum Übersetzen ab oder erarbeitet ihr diese zusammen und lässt euch beraten?
Ich schreibe jeweils den Text und lege den vor. Da alles Altkeltische gut schriftlich dokumentiert ist, lässt sich vieles einfach rekonstruieren. Zuerst wird der Text übersetzt, danach kommt der spannende Teil: Wir erörtern gemeinsam die Redewendungen. Wie kann eine Redewendung von Deutsch in Gallisch übersetzt werden, dass es Sinn macht? Wie hätte man das im antiken Gallien ausgedrückt? Die Wahrscheinlichkeit, dass man zum Beispiel «s’Füfi und s’Weggli» sinngemäss übersetzen kann, ist gleich null.

Gemäss Wikipedia bezeichneten die alten Römer die keltische Sprache als Gallisch, gemeint ist aber das gleiche. Wenn man andere Interviews liest, dann sprecht ihr meist von gallisch und nicht von keltisch. Wieso?
In der Sprachwissenschaft hat sich den Ausdruck Gallisch durchgesetzt. Wir sprechen darum ebenfalls meist von Gallisch.

Wie entscheidet ihr, wann in einem Lied der Cut zwischen Gallisch und Englisch gemacht wird?
Für mich ist der Gebrauch von Gallisch ein artistisches Schaffen und ein zu hundert Prozent intuitiver Prozess. Grundsätzlich sind die Lieder englisch mit gallischen Sätzen oder Passagen drin. Gallisch ist eine sehr schöne, klangvolle Sprache mit Authentizität und einer Geschichte zum Anfassen. Der Song gibt selbst vor, wann welches Instrument zum Einsatz kommt und welche Sätze gallisch sind. Durch den kreativen Prozess wird der musikalischen Geschichteerzählung Leben eingehaucht.

Was würden die Kelten wohl von eurer Neuinterpretation ihrer Melodien und Umsetzung ihrer Sprache halten, wenn ihr ihnen eure Lieder vorspielen könntet?
Bei der Aussprache würden sie sich wohl fragen, woher dieser Dialekt kommt. Wenn sie die Musik dazu hören würden, würden sie wahrscheinlich panikerfüllt davonrennen (lacht).

Euer neues Album heisst «Ategnatos». Wie spricht sich das aus?
Ategchnatos.

(Nach einigen Versuchen, das Wort richtig auszusprechen geht’s weiter zur nächsten Frage). Also, «Ategnatos» ist altkeltisch und bedeutet Wiedergeburt. Erzähl mal, was hat es auf sich mit diesem Album?
Die Wiedergeburt ist das Kernthema vom Album. Allegorien aus der keltischen Mythologie werden aus dem Blickwinkel vom heutigen, modernen Leben betrachtet. Diese Bilder drehen sich mehr oder weniger um den Tod und die Wiedergeburt ­– nicht wie im Hinduismus um Reinkarnation, sondern metaphorisch betrachtet die Erfahrungen, die wir im Leben machen oder eben nicht – und den Chancen, die wir damit erhalten.

Ist die Wiedergeburt auch auf euch als Band zu beziehen?
Nein, gar nicht.

Das Musikvideo zur Single «Ategnatos» ist auf Youtube bereits vor Veröffentlichung des kompletten Albums ein Erfolg mit 1,8 Millionen Klicks. Was hältst du von der Digitalisierung des Musikbusiness mit Spotify und Co.?
Mein Ding ist das grundsätzlich nicht. Das ist nicht mehr meine Welt und dafür bin ich zu alt…

Du bist erst 44…
Trotzdem ist es mein persönliches Empfinden als Hörer, dass mit der Digitalisierung der Musik einiges verlorengegangen ist: Ein Album ist ein Gesamtkunstwerk mit Artwork und Trackliste. Auf den digitalen Plattformen kommt das Ganze nicht mehr so zur Geltung. Andererseits finde ich, es macht keinen Sinn, darüber zu nörgeln. Es ist, wie es ist. Wir vertreiben nicht weniger Musik, bloss anders. Es werden massiv weniger CDs gekauft, jedoch wird mehr via iTunes und Co. vertrieben. Lustigerweise hat der Schallplattenverkauf ziemlich zugenommen.

Die neue Platte hat im Vergleich zu den Vorgängern mehr eingängige Mitsing-Lieder. Wie kommts?
Es war schon immer Teil unserer Musik, dass sie sich zwischen harter Musik und eher poppigen Stücken bewegt. Aber jetzt, wo du’s sagst… Stimmt! Wir haben dieses Mal tatsächlich mehr solche Lieder, keine Ahnung wieso. Das ist für uns jeweils eine rein intuitive Entscheidung. Uns ist sehr wichtig, dass wir musikalisch ausdrücken können, was die Texte wiedergeben. Wir schreiben keine Random-Lieder und quetschen dann einen Text rein, sondern wir wissen bei jedem Stück, um was es inhaltlich gehen soll.

Gibt’s da eine starre Reihenfolge, wie ein Album bei euch geschrieben wird?
Das verläuft nicht statisch, sondern immer etwas chaotisch. Zuerst mache ich immer ein Konzept über Inhalt, Lyrik, Musik bis hin zum Artwork. Ich muss eine konkrete Vision vor Augen haben, von der sich alles andere von alleine ableitet. Es ist oft schnell klar, wie viele Lieder auf dem Album sind, um was es gehen soll und welche Tracks härter sind als andere. Danach kommt das Songwriting, ohne Grenzen.

Man hat den Eindruck, dass die Leute nur noch über die Konstellation von Eluveitie sprechen und nicht mehr primär über die neue Musik. Bekommt ihr das zu spüren?
Hmm… Das bin ich so noch nie gefragt worden… Ich denke, die Diskussionen dazu haben etwas zugenommen. Ich habe aber nicht den Eindruck, dass das die Musik verdrängt. Wenn ich auf den sozialen Medien die Kommentare lese, dann geht es meistens um die Musik. Natürlich  gibt es die ewig nörgelnden Musikwelt-Verbesserer, die der Meinung sind, früher war es besser – ich finde übrigens sowieso, dass Nörgeln ziemlich sinnfrei ist. Kommentare in diese Richtung haben schon etwas zugenommen. Ein Beispiel, worüber ich mich letzthin ziemlich genervt habe: Unsere ehemalige Geigerin Anna Murphy hat mit ihrer Band Cellar Darling ihr neues Album veröffentlicht. Wir haben auf Facebook auf den Release hingewiesen – im Positiven, weil wir das Album wirklich mega geil finden. Praktisch alle Kommentare handelten davon, dass das cool und nett sei, dass wir für unsere ehemaligen Mitglieder Werbung machen. Als ob das jetzt extrem abwegig wäre.

Das heisst, ihr habt euch im Guten getrennt?
Absolut! Wir waren damals zweieinhalb Jahre auf Welttournee, und danach hat es sich so ergeben, dass einige aus der Band ausgestiegen sind. Wir haben uns aber im Guten getrennt. Es spielen verschiedene Faktoren zusammen: Wir waren 10 Jahre zusammen und jeder hat sich weiterentwickelt. Wie in einer Beziehung waren wir quasi Tag und Nacht zusammen, auf der Tour und wenn nicht auf der Tour dann im Studio.

Die Öffentlichkeit hat aber gerne Dramen. Am besten wäre es, wenn wir einen Riesenstreit hätten, wo es sich um möglichst viel Geld dreht und natürlich noch Anwälte im Spiel sind. Das ist aber bei uns nicht so. Ich finde es toll, wie die ehemaligen Bandmitglieder in anderen Bands kreativ aufgegangen sind. Wenn wir uns sehen, das plaudern wir zusammen. Wir sind auch schon zusammen ausgegangen. Wir landeten auch per Zufall oft gleichzeitig im selben Studio, um die Songs aufzunehmen. Am Schluss fusionieren wir vielleicht zu einer riesigen Band (lacht).

Würdest du sagen, dass sich eure Musik mit dem neuen Line Up geändert hat?
Ich würde sagen ja und nein. Unser Stil war unterm Strich immer so und die Songs schrieb bisher immer ich. Das ist sich gleichgeblieben. Die Arbeitsatmosphäre hat sich jedoch extrem schön entwickelt, wir sind in der Band sehr familiär unterwegs. Das hat sich bereits beim Akustik-Album «Evocation II – Pantheon» abgezeichnet. Das aktuelle Album haben wir als Gruppe von Menschen erarbeitet: Wir sind meist alle zusammen im Studio, das lässt viel mehr spontane Kreativität zu. Und das, glaube ich zumindest, hört man.

Ihr seid die wohl erfolgreichste Liveband aus der Schweiz und in eurem Bereich die wohl erfolgreichste überhaupt. Nimmt man euch in der Schweiz zu wenig wahr?Naja, was ist schon zu wenig oder zu viel? Uns ist das eigentlich egal. Wir machen das ja, weil es unsere Leidenschaft ist. Wir haben keine Erwartungen, auch nicht an unser eigenes Land. Und es kommt uns auch zugute: Wir werden in den Schweizer Städten oft angesprochen und nach Autogrammen gefragt, was zum Beispiel beim Anstehen an einer Kasse ziemlich unangenehm sein kann. Da bin ich dann froh, dass wir in der Schweiz nicht zu viel Aufmerksamkeit erhalten.

Grundsätzlich finde ich aber, dass die Schweizer eine merkwürdige Beziehung zu den Schweizer Kunstschaffenden führen. Es ist oft so, dass neues Kulturgut aus der Schweiz als weniger qualifiziert oder gut erachtet wird, weil es eben aus der Schweiz kommt. Wenn ein Regisseur aus Hollywood etwas released, finden es alle super. Macht ein Regisseur aus Bümpliz genau das Gleiche, werden zuerst tausend Fragen gestellt.

Viele Jahre hat sich in der Schweiz niemand für uns interessiert. Erst als einige Medienschaffende davon Wind bekommen haben, dass wir Jahr für Jahr als Headliner in den USA spielen, erwachte das allgemeine Interesse. Heute ist vieles eine Art elitärer Underground. Ich bin der Meinung, dass wir Schweizer Kunstschaffende uns nicht verstecken müssen.

Möchtest du sonst noch was loswerden?
Einen riesigen Dank an unsere Hörerinnen und Hörer! Und danke fürs Interview!

Dankä diär, Chrigel!

Interview: Aline Hug

Aline
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Die Helden: Lemmy Kilmister, Jimi Hendrix, Jim Morrison.

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