BETH HART Fire On The Floor

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BETH HART

Fire On The Floor

Mascot/Rough Trade

 

  1. Ein neues Album von Beth Hart isst immer ein Abenteuer. Um es mit Forrest Gumps Ausspruch zu umschreiben: Es ist wie eine Schachtel Pralinen; du weißt nie, was du kriegst. Aber du wirst sie alle mögen, die herben, die süssen und die dunklen.

„Fire On The Floor“ beginnt mit einer rauchigen Jazz-Nummer mit Piano und Fingerschnippsen, die bezeichnenderweise „Jazz Man“ heisst. „Love Gangster“, dessen Titel von Leonard Cohen inspiriert wurde, hat viel Southernfeeling und klingt in Produktion und Ausführung simpel und roh, womit Harts Stimme voll zur Geltung kommt. Mit „Coca Cola“ verwandelt sich Hart in eine Jazzsängerin der alten Schule, um dann ihre Bluesröhre auszupacken und dem sparsam arrangierten Song eine schwüle Atmosphäre zu verleihen.

Die wohl beschwingteste Nummer ist „Let’s Get Together“, die bequem auch auf eine Amy Winehouse Platte gepasst hätte, und mit leichten Ska-Anleihen und Bläsersatz gute Laune zaubert. Dramatisch wird es mit „Love Is A Lie“, das nach einem Theaterstück klingt, an dessen Ende kein Happy End wartet, dafür aber eine oder mehrere Leichen. In Harts Stimme liegt Wut und Trauer, trotzdem aber immer auch Stärke und Zielstrebigkeit, was dem Song interessante Ambivalenz gibt. „Fat Man“ ist der Eingang zur bluesigen Seite des Albums und eine staubige Rock’n’Blues-Geschichte mit klassischem Muster, die einem wieder in Erinnerung ruft, dass gute Dinge eben einfach immer gut bleiben. Mit dem Titeltrack filtern Hart und ihre Band den Blues vollends heraus und spielen einen erdigen, schleppenden und sehnsüchtigen Song, der lange im Ohr hängen bleibt. „Woman You’ve Been Dreaming Of“ braucht entweder gute Nerven oder eine Menge Taschentücher, um ihn bis zum Schluss auszuhalten. Hart singt aus der Sicht einer betrogenen Frau und man nimmt ihr nicht nur jedes Wort ab, sondern merkt, dass sie genau weiss, woher sie das Feeling für ihre Interpretation nimmt. Glücklicherweise hilft einem „Baby Shot Me Down“, trotz des Titels, mit groovigem Beat wieder auf die Füsse, bevor „Good Day To Cry“ einem wieder von hinten in die Kniekehlen tritt. Auch hier schwingt so viel Traurigkeit in Stimme und Instrumentierung, dass man die Taschentücher lieber nicht zu früh wegräumt. Ein grosser Song ist „Picture In A Frame“, der textlich zwar auch in Erinnerungen schwelgt, musikalisch aber einen tröstenden und beruhigenden Ton hat und dessen Grösse sich erst nach mehrmaligem Anhören erschliesst. Hart beendet dieses in vielen Facetten ausdruckstarke Album mit der melancholischen Pianoballade „No Place Like Home“ und gibt dem Hörer zum Abschluss doch noch ein kleines Happy End mit.

Die Ausnahmesängerin hat mit Oliver Leiber einen Produzenten an ihrer Seite, der ihre Musik und Intention versteht und mit grosser Kenntnis in Szene setzt. „Fire On The Floor“ klingt sparsam, roh und nah und lässt der Stimme den Freiraum, den sie zur vollen Entfaltung braucht. In Worten lässt sich das schwierig beschreiben, aber vor allem bei mehrmaligem Hören bekommt auch Oliver Lieber einen verdienten Platz in der Band, denn seine Produktion macht aus der Musik genau das, was sie sein soll.

Vorsichtig umschrieben könnte man „Fire On The Floor“ als Beth Harts vielleicht bestes Album bezeichnen. Das ist natürlich einerseits bei ihrer enormen stilistischen Spannbreite eine Geschmackssache, andererseits präsentiert sie hier aufgrund der emotionalen Achterbahnfahrt auf diesem Album ihre komplette Gesangskunst, zieht jedes Register, holt alles aus sich heraus und lässt einen als Hörer im besten Sinne ausgewrungen auf dem Boden zurück. „Fire On The Floor“ verlangt einem eine Menge an Gefühlen ab. Aber genau das sind die unvergesslichen musikalischen Momente, die einen eine Band, einen Künstler lieben lassen. Beth Hart gehört dazu.

Hanns
About Hanns Hanneken 528 Articles
Hanns, der Gründer von TRACKS, ist der CH-Musikszene seit den 80er-Jahren als Produzent, Musiker und Redaktor eng verbunden. Er war jahrelang Chefredaktor des Schweizer Musikmagazins MUSIC SCENE, des deutschen Magazins MUSIK SZENE und arbeitete für u. a. MUSIK EXPRESS, METAL HAMMER.